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Berlin |
02.05.2004
Das vergessene
MärchenschlossRadpartie 7 ins verwunschene Briesetal -
dessen Zauber lockte Adolf Friedrich Wollank einst nach
Dammsmühle. Dort schuf er einen Traum aus 1001 Nacht. Jetzt wartet
sein Herrenhaus auf einen neuen Prinzen, der es
wachküsst
Von Claus-Dieter Steyer
Auf dem
See schwamm ein echter Palast aus dem Orient. Beim Blick zur
großen Kuppel, den bunten Bögen und phantasievollen Türmchen und
nicht zuletzt bei der Begrüßung durch eine farbenprächtig
gekleidete Dienerschar fühlten sich die Gäste wie in einem Märchen
aus Tausendundeiner Nacht. Tänzer, Gaukler und Musiker boten im
Fackelschein ein zauberhaftes Schauspiel. Wer für einen Moment die
Augen schloss, konnte sich weit weg von Brandenburg träumen. Dabei
trug das Floß mit dem großen Serail seine Besucher nur über den
kleinen Ausläufer des Mühlenbecker Sees im Norden von Berlin. Nach
dem nächtlichen Amüsement legte sich die Festgesellschaft im nahen
Schloss Dammsmühle zur Ruhe.
Fast 100 Jahre
liegen diese Feiern zurück. Vergilbte Bilder zeugen vom einstigen
Glamour, den Gutsherr Adolf Friedrich Wollank (1866-1915)
bezahlte. Doch es gibt auch Erinnerungen an ganz andere
Schlossherren in den folgenden Jahrzehnten. Heinrich Himmler,
Reichsführer der SS, nutzte Dammsmühle in den 30er Jahren als
Quartier und Nobelherberge und ließ den Park von Häftlingen aus
dem nahen KZ Sachsenhausen pflegen. Und nach dem Kriegsende kam
die Stasi. Die DDR-Spitzel betrieben seit 1953 im Schloss ein
Schulungs- und Erholungsheim. Auch sie schätzten das nahe
Briesetal – eine verwunschene Wald- und Sumpflandschaft von
außergewöhnlicher Schönheit.
Seit der Eiszeit vor 10000
Jahren schlängelt sich die Briese zwischen dem Wandlitzsee und der
Havel im Westen von Birkenwerder entlang. Über weite Strecken
gleicht die Gegend dem viel gerühmten Spreewald – nur für
Spreewaldkähne reichen Wasserstand und Breite der Briese nicht
aus. Dafür schwärmen Angler heute von ihrem Fischreichtum, den
schon wendische Volksstämme schätzten. Von den Wenden kommt
vermutlich auch der Name Briese; er könnte sich vom altslawischen
Wort Breza (Birke) ableiten.
Mitte des 18. Jahrhunderts
entstanden an der Briese mehrere Mühlen und zwei Staustufen. Den
Ausschlag gab das beachtliche Gefälle des Flüsschens von einem
Meter auf einem Kilometer – eine Seltenheit im flachen
Brandenburg. Davon profitierten neben den Müllern besonders die
Flößer. Sie transportierten Baumstämme auf den gestauten
Flusspartien zur Kolonie Briese bei Birkenwerder. Hier wurde das
Holz zu Holzkohle verarbeitet oder für den Teerofen
gebraucht.
Teerbrennerei und Mühlen überlebten die Zeit
nicht. Nur der Name Dammsmühle blieb erhalten. Er geht auf den
Sattlermeister Peter Friedrich Damm zurück, der zu viel Geld kam,
weil er die Armee FriedrichsII. mit Lederzeug ausstattete. In
Berlins Mitte bewohnte er das heutige Ermelerhaus und kaufte 1755
die neun Jahre zuvor errichtete Wassermühle zwischen Mühlenbeck
und Schönwalde. Er erweiterte sie zu einem Landgut, das sich am
preußischen Königshof schnell als schönes und diskretes
Ausflugsziel herumsprach.
Nach mehreren Eigentümerwechseln
schlug 1894 die große Stunde für Adolf Friedrich Wollank. Dessen
Vater war Amtsvorsteher in Pankow (nach ihm ist dort die
Wollankstraße benannt), außerdem besaß er Ländereien im Barnim.
Sohn Adolf Friedrich verliebte sich in den Flecken bei Schönwalde
und ließ sich einen Herrensitz bauen, gekrönt durch den
schwimmenden Palast. Nach seinem Tod kaufte der englische
Industrielle Harry Goodwin Hart das Anwesen. Er wollte dort seinen
Lebensabend verbringen und setzte das bunte Treiben fort.
Bankiers, Unternehmer, Künstler und Schauspieler gaben sich ein
Stelldichein. Überliefert ist beispielsweise der Name des
Schauspielers und Filmproduzenten Harry Piel, bekannt durch seine
Abenteuerfilme, die er in den Canyons der Rüdersdorfer
Kalksteinbrüche drehte.
Doch mit dem Machtantritt der
Nazis endete auf Dammsmühle die unbeschwerte Zeit. Harry Hart
musste als Jude in die Schweiz flüchten, sein Eigentum fiel an die
Nazis. Die SS zog ins Schloss ein, nach 1945 diente Dammsmühle als
Lazarett, doch seit den 50er Jahren empfing Stasi-Chef Erich
Mielke dort streng bewacht seine Gäste. Dieser Spuk endete im
Jahre 1989.
In den Neunzigern feierte hier Hildegard Knef
einen großen TV-Erfolg. In der ZDF-Serie verwandelte sich das
Schloss in ein turbulentes Seniorenheim – das „Haus am See“. Zu
diesem Zeitpunkt bot Dammsmühle noch ein wirklich schönes Bild.
Turm und Schloss-Flügel spiegelten sich im Wasser.
Die
Bilder weckten im ganzen Land die Neugier. Viele wollten den noch
recht unbekannten Landstrich sehen. Wander- und Radvereine boten
geführte Touren entlang des Summter und Mühlenbecker Sees und
durchs Briesetal an – oder zum nahen Wandlitz- und Liepnitzsee.
Der Bekanntheitsbonus durch die Fernsehserie wirkte Wunder.
Hochzeitspaare gaben sich im Schloss das Jawort und drehten in der
Kutsche eine Runde um den See. An schönen Tagen war auf der
Terrasse kaum ein Platz zu finden.
Aber das Glück währte
nicht lange. Gastronomen und Hoteliers gaben sich als Pächter von
Schloss Dammsmühle die Klinke in die Hand und glitten ab auf
Pizza-Niveau. Das beschleunigte den Niedergang, zumal Geld für die
Modernisierung fehlte. Hoteliers und Makler feilschten Ende der
Neunziger um das vermeintliche Filet-Stück und verspekulierten
sich. Auch internationale Konzerne zeigten Interesse. Dammsmühle
erschien ihnen als repräsentatives Gästehaus vor den Toren Berlins
ideal, aber das Nazi-Kapitel in der Schlossgeschichte schreckte
sie ab. Seither machen Pläne von einer Rehabilitationsklinik,
einer Managerschule und Fortbildungsstätte die Runde. Doch nichts
passiert. Das Haus verfällt. So ging der vergessene Prachtbau
Mitte 1997 schließlich an die Erben des Industriellen Hart in den
USA und in der Schweiz zurück. Sie verkauften das Schloss – jetzt
gehört es einem Mediziner aus Niedersachsen. Und der schweigt über
seine weiteren Pläne.
Aus der Ferne ist der Niedergang
allerdings kaum zu ahnen. Wer vom Mühlenbecker See daherradelt,
blickt plötzlich über den kleinen Waldsee zum Schloss. So
märchenhaft sah es auch zu Adolf Friedrich Wollanks Zeiten aus,
als die Gäste hoch zu Ross oder im Einspänner von einer Landpartie
aus dem schönen Briesetal zurückkehrten.
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