10.10.05
Frisches
Brot aus dem Brustfeuerungsofen
Die Alte Bäckerei beherbergt bald das »Museum für Kindheit in Pankow«
Von Volkmar Draeger
Auch wenn das blühende Vorgärtlein einen Weg zur Mitteltür des Hauses
freilässt, betritt man die Alte Bäckerei an der Wollankstraße 130 linker Hand durch ein Holztor
über den Hof.
Als 1875 Bäckermeister Carl Friedrich Ludwig Hartmann
aus Blankenburg im Harz das Gehöft übernahm, begann eine fast hundertjährige
Handwerksgeschichte. Carls Sohn Emil, dann sein Enkel Karl
führten den Familienbetrieb bis 1964. Nach Karls Tod
1967 blieb seine Witwe Martha bis 2000 in dem maroden Haus wohnen. Mit ihrem Auszug schien das Schicksal des schlicht
spätklassizistischen Gebäudes besiegelt. Ruthild Deus, seit langem mit
der Bäckersgattin bekannt, wurde der rettende Engel. Die gelernte
Reprofotografin mit Liebe zur Historie des Ortsteils Pankow veranstaltete in
dem leerstehenden Wohnhaus schon zur Weihnachtszeit 2000 eine erste Ausstellung
und betrieb auf deren Resonanz hin zielstrebig die Sanierung der Anlage. Frau
Martha verkaufte sie ihr, Landesdenkmalamt, Deutsche Stiftung Denkmalschutz und
Senat für Stadtentwicklung brachten gemeinsam die nötigen Mittel auf. Grund für
das öffentliche Engagement war das Nutzungskonzept des Objekts als vielseitige Begegnungsstätte.
Die dreijährige Restaurierung hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Nicht
nur, weil das Projekt 2004 sowohl den Bundespreis für Handwerk in der
Denkmalpflege wie auch die Ferdinand von Quast-Medaille als Preis der Berliner
Denkmalpflege erhielt. Mehr noch, weil hier
unermüdliches Wirken ein Kleinod mit Ausstrahlung weit über Pankow hinaus
geschaffen hat. Der Rundgang verdeutlicht das. Er
beginnt im Begegnungsraum, dem ehemaligen Schlafzimmer. Liebevoll hat Frau Deus
ihn eingerichtet: mit Ladenmöbeln eines Scherenschleifers zur Bewahrung der
Bibliothek des Orts-Chronisten Rudolf Dörrier, mit dem Schrank des ersten
Kindergartens von Bergmann-Borsig, einem runden Jugendstil-Ofen.
Handtuchschmal liegt daneben der frühere Verkaufsraum mit seiner originalen
Kasse und einer neuen, in Thüringen aufgetanen zweiflügeligen Außentür. Brot und Gebäck wurden, wie alte Fotos beweisen, über die nicht
mehr erhaltene Theke gleich zur Straße hin angeboten. Der benachbarte
Wohnbereich dient wechselnden Ausstellungen, so Schautafeln zur Geschichte der
Hartmanns, und zeigt derzeit unter dem Motto »Frieden und Krieg« berührende
Erinnerungsstücke der Pankower Familie Klempau.
Winzig schließen sich dem Wohnzimmer im Seitentrakt das Büro und die Küche an. Als Herzstück beherbergt er auch die Backstube mit ihrem
vier Meter langen Brustfeuerungsofen von 1875, dem wohl stadtältesten. Etwa 100 Brote konnten pro Beschickung gebacken werden. Seit kurzem bäckt Geselle Tobias der Bäckerei Hennig aus
Hennickendorf zur Freude der Anwohner dienstags und donnerstags drei Sorten Brot
auf Sauerteigbasis. Um ihn herum sieht man wiederhergestellte alte
Gerätschaften wie Teigteilmaschine, Semmelmehlmühle und Sackhebekarre. Tobias' Vorgänger Hartmann vertrieb seine duftenden Produkte
mittels eines kleinen Kastenwagens bis nach Reinickendorf und Wedding.
In der backsteinernen Remise gegenüber der Backstube standen
der Hartmannsche Landauer nebst Pferd, und auch ein Hühnerstall fehlte nicht.
Das Remisenparterre nutzt Frau Deus bei Veranstaltungen als
Küche, den Heuboden darüber als Archivraum. Im gemütlich
historisierend eingerichteten Obergeschoss des Wohnhauses bietet sie Touristen
und Atmosphäresuchern für 30 Euro pro Nacht und Person vier Gästebetten,
Warmwasserbad im Holztrog inklusive.
Dass die rührige Hauseignerin Geld einnehmen muss, um ihre musealen Projekte zu
finanzieren, ist die andere Seite. So lädt sie zum Tag
des Deutschen Butterbrots, veranstaltet am St. Martinstag einen Lampionumzug
mit Kindern. Ihnen gilt ihre besondere Liebe, wie auch die nachmittägliche
Reihe »Märchenerzählen am Kachelofen« mit Bastelangeboten beweist. Sie selbst bastelt an ihrer Vision eines ständigen »Museums für
Kindheit in Pankow«. Exponate wie Spielsachen und
Schulpult hat sie schon beisammen. Sie wolle nichts für sich, sagt sie,
wohl aber etwas bewegen: »
Die Serie erscheint mit Unterstützung des Landesdenkmalamtes
Erschienen
in der Sozialistische Tageszeitung • Dienstag, 25. Oktober 2005